Beobachtet man den 66-Jährigen bei seiner Arbeit wird klar, warum er sich
für eine reine Polsterausbildung stark macht. Routinierte Handarbeit und Geschicklichkeit sind nötig, um den alten Möbeln in der Werkstatt wieder neues Leben einzuhauchen. Die Herausforderung besteht
darin, sich auf das oft antike Material einzulassen und es gegebenenfalls mit neuem zu kombinieren, ohne dabei den Charakter des Möbels zu verändern. Heute steht ein typischer Barockstuhl auf dem
Programm. Das alte Polster ist bereits komplett entfernt – nur das nackte Gestell ist übrig geblieben. Die oval geschwungene Lehne und der freigelegte Sitzbereich sind übersät mit feinen Nagellöchern
und dokumentieren den Gebrauch des Stuhls über Jahrhunderte hinweg. Hier haben schon viele Polstere zuvor Hand angelegt und ihre Spuren hinterlassen.
Zunächst fertig Alfred Mohr aus breiten Jutegurten das Geflecht an, das die
Basis des Sitzpolsters bildet. Eine strake Spannung ist nötig, damit die Fläche später nicht unter dem Gewicht des Besitzers durchhängt. Rissige und ausgeleierte Gurte sind ein häufiger Grund für
Reparaturen. Je stärker die Spannung jetzt ist, desto länger wird das neue Polster dem Besitzer Freude bereiten. Auf das Gurtgeflecht kommen nun die Federn, die erst an der Basis festgenäht und dann
miteinander verschnürt werden. Viele Polsterer weichen heute auf Schaumstoff aus und sparen sich dadurch hunderte Nadelstichen und Knoten. „Echte Sitzqualität entsteht so aber nicht“, kritisiert Mohr
die moderne Vorgehensweise. Wie um seine Aussage zu unterstreichen, lässt er sich in einen fertigen Stuhl fallen und demonstriert das Auf- und Abwippen der Federn. Bequem wird das Polster allerdings
erst durch die weichen Auflagen, die auf den sogenannten Federverband folgen. Schicht für Schicht wächst das Polster in die Höhe und nimmt langsam Gestalt an. Alfred Mohr greift in einen großen Sack,
der bis an den Rand mit etwas gefüllt ist, was an Stroh erinnert. „Das ist Afrik“, erklärt der Experte. „ Eine elastische Palmfaser, die sich wunderbar als Füllmaterial eignet. „Ist das Afrik in Form
gezupft, wird es mit Fassonleinen abgedeckt. Das leinwandartige Jutegewebe sorgt dafür, dass die Fasern stabilisiert werden. Nach einigen Garnierstichen zeichnet sich bereits die spätere Form des
Polsters ab. Watte und Schaumstoff runden die Sitzauflage ab und sorgen für ein angenehm weiches Sitzgefühl. Traditionell kann hier Rosshaar zum Einsatz, doch der Schaumstoff hat einen entscheidenden
Vorteil: Er staubt nicht. „Manche moderne Materialien sind einfach praktischer und besser, da muss man abwägen, wofür man sich entscheidet“, sagt Mohr. So spart man zum Beispiel Zeit und Geld, wenn
man die einzelnen Schichten nicht, wie früher üblich, an den Rahmen nagelt, sondern tackert. Stabil ist beides- und doch sind Mohr die alten Nägel und Stifte lieber. Der schon erwähnte Charakter
eines Möbels spielt dabei eine große Rolle. Letztlich entscheidet jedoch der Kunde darüber, aus welchen Bestandteilen das Polster bestehen soll. Viele vollen oder können sich die traditionelle
Vorgehensweise nicht mehr leisten und weichen aus diesem Grund auf kostengünstigere Alternativen aus.
Jetzt wird das Ganze mit Stoff verkleidet. Von Hand vernäht der
passionierte Polsterer den ausgewählten Stoff mit der fertigen Auflage. Je nach Wunsch des Kunden bringt er abschließend Posamente wie Quasten, Bordüren oder Bänder an. Keines der Werkzeuge, das
Alfred Mohr täglich benutzt, braucht Strom. Fingerfertigkeit und Muskelkraft sind gefragt, um auf traditionelle Art einen Stuhl oder Sessel zu polstern. „Das ist alles Handarbeit, dafür brauche ich
nicht mal eine Nähmaschine“, sagt er nicht ohne Stolz. Von althergebrachten Polstern allein kann jedoch auch Alfred Mohr nicht mehr leben. Zu gering geworden ist die Wertschätzung gegenüber alten
Möbeln. Anstatt ein bewährtes Sofa aus Uromas Nachlass neu polstern zu lassen, kaufen sich viele Leute heute einfach ein neues. Auch wenn das alte Polstern seine große Leidenschaft ist, hat Alfred
Mohr inzwischen zusätzlich geschäftliche Standbeine: Auf Wunsch überzieht er auch neuzeitliche Polstermöbel mit neuem ‚Gewand. Kaputte Gürtel, Lenkräder oder auch lederne Innenausstallungen von
Oldtimern erledigt er nebenher.